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Debatten, die ins Abseits führen

Nicht erst seit den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg werden in und im Umfeld von DIE LINKE Debatten geführt, bei der mal als „hippe Großstadtmilieus“ mal als „bestimmte städtische Klientels“ bezeichnete Personengruppen gegen die „Normalbürger“ und „lohnabhängig Beschäftigten“ und „sozial Benachteiligten“ ins Felde geführt werden. Plakate seien für letztgenannte nicht zu entziffern und „Politikziele der sozialen Gerechtigkeit zugunsten von postmateriellen Zielen“ aufgegeben worden. Diese Zuschreibung ist an vielerlei Stellen nicht nur unzutreffend, sie ist auch gefährlich.

Mal abgesehen davon, dass man nicht in einer Halbmillionenstadt leben muss, um auch zweifach umgebrochene Worte „entziffern“ zu können, wäre mir neu, dass an irgendeiner Stelle ein Politikziel der sozialen Gerechtigkeit auf dem Altar eines postmateriellen Ziels geopfert worden wäre. („Nein Klaus, das mit dem höheren Mindestlohn können wir uns nicht leisten, das Geld brauchen wir für einen postkolonialen Stadtrundgang!“). Allerdings wird die Behauptung, DIE LINKE hätte programmatisch irgendwelche substanziellen Ziele materieller Veränderung aufgegeben, auf der Ebene der Wahrnehmung wirksam, wenn man sie nur oft genug wiederholt. Wenn wir also die nächsten zwei Jahre mit ähnlichem zubringen, womit wir die letzten zwei Jahre zugebracht haben, bleibt bei den einen hängen, DIE LINKE hätte Ziele sozialer Gerechtigkeit aufgegeben und bei den anderen, für DIE LINKE seien Großstadtbewohnerinnen und -bewohner abgehobene Hipster mit komischen Bärten und ohne Bremsen am Fahrrad.

Auch von der historischen Warte aus betrachtet ist es mehr als seltsam, wenn innerhalb unserer Debatten vor allem kulturalistische Gegensätze (re-)produziert werden. Der Gegensatz war und ist nicht der zwischen Feminismus und Mindestlohn, Antifaschismus und Handarbeit oder Fahrradkurier und Maschinenbau. Der Gegensatz war ist und bleibt der zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Kapitalismus und Rettung des Planeten oder – eine Nummer kleiner – der zwischen Vonovia und Mieterin, zwischen Amazon und Arbeiter, zwischen Reich und Arm.

Die Wählerinnen und Wähler als auch die Mitglieder von DIE LINKE waren ferner nie eine homogene Masse – auch kulturell nicht. Da waren Punks (aus Stadt und Land) mit Piercing und Iro in der gleichen Partei, in der ältere vormals staatsnahe DDR-Bürgerinnen und -Bürger noch jedes mal mit Anzug zum Parteitag kamen. Da versammelten sich Professorinnen und Straßenbahnfahrer, pragmatische Gewerkschaftssekretäre und KPF-Mitglieder, Sterni-Trinker und die linke Rotwein-Avantgarde. Klar, konfliktfrei war auch das nicht, aber man hielt es aus und schaffte es weitgehend, die fraglos vorhanden kulturellen Differenzen nicht medial zuzuspitzen. Wenn das Ganze doch mal thematisiert worden ist, dann als „Gysis bunte Truppe“ (sogar die frivolen Begriffe „cool“ und „geil“ kamen zum Einsatz).

Wenn man sich selber also nicht ins Abseits diskutieren will, wäre es besser, die eigenen Wählerinnen und Wähler (wie auch die eigenen Mitglieder) nicht ohne Not gegeneinander in Stellung zu bringen. Wer es doch macht, tut letztlich sich selbst und dem eigenen Anliegen keinen Gefallen und produziert genau das, was er oder sie den „anderen“ vorwirft: Eine Fokussierung auf kulturalistische („postmaterielle“) Auseinandersetzungen.

P.S.: Kritische Anmerkungen bezüglich einer unverständlichen, unpräzisen oder abgehobenen Sprache sind grundsätzlich sehr willkommen. Dazu muss man aber das Ohr nicht zuerst auf abgefahrene Diskurse im Umfeld einiger Universitäten richten (hört ja sonst kaum einer), sondern Richtung MDR und ARD, wenn mal wieder jemand aus den eigenen Reihen „Enquete-Kommission“, „novellieren“ und „forcieren“ in einem Satz sagt ;)

2 Antworten auf „Debatten, die ins Abseits führen“

Es geht um den flexiblen Umgang mit Lebensstilen

Die Debatte innerhalb der Linken dreht sich seit geraumer Zeit im Kreis. Dabei ist die Frage, die sich daraus ableiten lässt, überaus simpel: Wie sprechen wir eine Zielgruppe an, ohne die andere zu vergraulen?
Ein „kulturalistischer“ Gegensatz spielt dabei durchaus eine Rolle, nur sollte er der Analyse dienen, anstatt einseitige Schuldzuschreibungen zu reproduzieren. Die LINKE hat ein Problem mit ihren Zielgruppen, und zwar deshalb, weil sich die Gewichte innerhalb und zwischen den Zielgruppen wie innerhalb und zwischen den Parteimitgliedern verschoben haben. Inzwischen gibt es eben mehr Sterni-Trinker*innen als Anzugträger*innen, mehr Studierende als Gewerkschaftssekretäre, mehr Barcelona- statt Toskana-Urlauber*innen, mehr Mitglieder, denen demokratietheoretische Themen genauso wichtig oder wichtiger sind als die Zukunft des Wohlfahrtsstaates. Die daraus resultierenden Konflikte können nur unter gegenseitiger Verständnisnahme geklärt werden, was aber gerade aufgrund der Machtpositionen der Gruppen schwierig organisatorisch – von Vorständen und Vorsitzenden – zu bewältigen ist. Eine klassische Zwickmühle sozusagen.

Es muss daher um die Erkenntnis gehen: wir müssen das eine machen, ohne das andere zu lassen, wir müssen die Menschen auf dem Land ansprechen UND die in der Stadt, den Kreativsektor UND die Industrie; aber das ist wohl – wie Brecht schon wusste – „das Einfache, das schwer zu machen ist“.

Wir müssen Wahlkämpfe in Zukunft wohl massiv auf Stadt UND auf Land in unterschiedlichen Varianten ausrichten; andere Plakate, andere Themen, andere Formate. Die Lebensrealität ist eine andere. Und natürlich können auch Menschen aus den ländlichen Räumen Wörter entziffern, die zweifach umgebrochen wurden, aber die Frage ist hier viel mehr, wollen sie das – und was löst es bei ihnen aus? Auf dem Land gibt es kaum Studierende, Kulturschaffende, weniger Flüchtlingshelfer*innen, weniger Professoren, Intellektuelle, Softwareentwickler*innen, Kommunikationsdesigner*innen. Die Sozialstruktur ist eine andere. Diese einfache Erkenntnis – und die Folgen daraus – dürfen nicht in einer Ausspielung Stadt-Land, Kreativmilieu-Abgehängte münden, sondern in einem Wandel der Ansprache und des Umgangs. Welche Themen stellen wir wo, wann in den Vordergrund? Vonovia kennen auf dem Land weniger Menschen als in der Stadt, weil es einfach viel weniger Mieter*innen gibt. Dafür interessiert sich in den Städten kaum jemand für Dorfladen-Folklore, weil man dort zwischen drei verschiedenen Bio-Läden wählen kann. Schwester-Agnes, Bahnhofskneipen- und Dorfladen-Tour waren gute Ansätze, die leider zu spät kamen und – soviel gehört zur Wahrheit – vor Ort kaum durchgedrungen sind. Auf den Plakaten fehlten diese Ideen z.B. auch: Do-rfl-äden.

Ein gutes Beispiel um Lebensstile zu verdeutlichen ist der Kultursektor: in der Stadt präsent und ausgeprägt, auf dem Land eher marginal vorhanden. Im Kultursektor (natürlich gibt es auch hier Ausnahmen) herrscht eine intrinsische Motivation, Kreativschaffende hängen – in der Mehrzahl – Autonomie höher als soziale Sicherheit, auch gab es dort nie einen annähernd so hohen Grad an Sicherheit wie in Bereichen der klassischen Industrie. In den urbanen Milieus der Kreativwirtschaft kann kaum sozialer Status verteidigt werden, es gibt wenig gewerkschaftliche Bindungen, viele haben kein Auto, kein Eigenheim. Zweifelsohne ist auch die kreative Klasse ein Opfer des Neoliberalismus – vielleicht sogar eines der größten – aber sie kämpft auf anderen Feldern, in anderen Themenbereichen. Der Habitus – soviel Kulturalismus darf sein – ist ein gänzlich anderer, die Wahlentscheidungen werden anders getroffen, die Vorstellungskraft von Zukunft unterscheidet sich.

Über die Gewichtung von Themen, die für eine bestimmte Gruppe (z.B. hippe Großstadtmilieus) eine besondere Bedeutung besitzen, der andere Gruppen hingegen (z.B. Industriearbeiter*innen im ländlichen Raum) eine geringere Bedeutung zuweisen, muss gesprochen werden. Begriffe wie Gleichheit, Solidarität oder Sicherheit haben für die wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU-Dresden womöglich eine andere Bedeutung als für den Rentner aus Niesky. Aber wo der Rentner – vielleicht – den Kopf schüttelt, wenn er Wahlalter 0 liest, und gar nicht zur Wahl geht, ist die wissenschaftliche Mitarbeiterin entzückt, würde aber ihr Kreuz auch bei der LINKEN machen, wenn sie Wahlalter 16 lesen würde, denn sie weiß, dass ein kleiner Fortschritt schon viel wert sein kann und DIE LINKE dran bleibt.
Es geht nicht um das Gegeneinanderausspielen verschiedener Gruppen, sondern um Empathie für die unterschiedliche Gewichtung von Themenbereichen zwischen den Gruppen unter Berücksichtigung des möglichen Wähler*innenpotenzials.
Für die Zukunft müssen konkrete, langfristige Strategien und Konzepte entwickelt werden. Ein Fraktionsmobil, das über die Dörfer tingelt, das von den Ortsverbänden bestellt werden kann – inkl. Besatzung -, um auf Märkten und bei Volksfesten für linke Politik zu werben; mit Hüpfburg für Kinder und der Verlosung von Landtagsbesuchen als Projekte politischer Bildung, wäre ein Anfang.

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